Kölner Graphikwerkstatt

Türknallen, lautes Getrampel,

"Hier bin ich! Was machen wir heute?"

Sie sind da! Alle auf einmal, laut, ungeduldig, gestresst. Sie freuen sich, oder sie sind noch völlig genervt, von der Schule, von der Fahrerei in die Südstadt, motzig, neugierig, aufgedreht oder still und erwartungsvoll.

"Hast du was zu essen?"
"Machst Du uns Tee?"

Meine Kinder sind da. Viele darf man schon gar nicht mehr Kinder nennen, junge Menschen mit eigenem Stil innen wie außen, manche begleite ich schon bis zu 10 Jahren und sie sind mir so vertraut, fast also ob es meine eigenen wären.
Langsam kehrt Ruhe ein. Eine kleine Zeichenübung zum Abschalten, zum Ankommen - in die Werkstatt. Hier wird Kunst gemacht und zwar total.
Dafür braucht man Ruhe - Zeit - Konzentration.

"Ich will nicht zeichnen, ich will drucken!"

Nein erst wird gezeichnet!
Wollt Ihr mehr können als die Lillifee und die Kindergartenmalerei, oder nicht?

"Na gut."
"Radiergummi!"

Hier wird nicht radiert!

"Ich bin fertig und nun?"

Ich hab mir gedacht, heute machen wir einen Linolschnitt!

"Oh , nein, nicht Linolschnitt, lieber Aquarell."

Demokratisches Getuschel, die Herrschaften einigen sich auf Linolschnitt.

"Ich hab Hunger, hast Du was Süßes?"
"Mir fällt nichts ein, was soll ich denn machen?"
"Nicht schon wieder eine Blume, ich kann sie nicht mehr sehen!"

..ein Handy klingelt...

"Eh, die macht dasselbe wie ich, die hat abgeguckt" (Mittelschweres Gerangel)
"Wie geht ne Handgranate?"
"Meins sieht voll Scheiße aus"

(eigentlich nicht wirklich, weiß Jungkünstler auch selber, aber will man ja doch immer wieder hören, wie gut es ist)

"Meinst Du nicht die Augenbraue sitzt zu hoch?"
"Nein, meine Augenbraue sitzt da so!"
"Na, guck doch mal..."
"Nein, ich sehe das so."
"und was machen wir jetzt?"

(das vollendete Kunstwerk besteht aus 2 konsequenten Linien)

"ich will noch mal neu anfangen, meins ist echt Scheiße"
"Jutta, mach du doch mal, du kannst das viel besser!"

...ein Handy klingelt....
manche arbeiten still und konzentriert, manche tuscheln, Unterhaltungen laufen an - Probleme in der Schule - Eltern, der total beknackte Harald und die Zicke Marianne und immer wieder

der absolut bescheuerte Kunstunterricht

"bis jetzt haben wir gestickt, nun weben wir, grausam"
"Sei froh, bei uns fällt Kunst aus"
"Wir machen Bilderweiterung, seit einem Jahr"
"Oh, das kenn ich auch" (tiefes Mitleid)

....ein Handy klingelt....
Sie sind unglaublich kreativ, einfallsreich, kritisch, voller Selbstzweifel, sie verändern sich kontinuierlich, werden immer besser, gehen mit offenen Augen durch die Werkstatt:

"Das Blau ist aber geil"
"Wer hat das gemalt?"
"Der Vietz hat ja ein Ikeabild gemacht"
"Wieso wollt Ihr soviel Geld für das Bild?"

Die Jungkünstler wollen mehr, Kunst in der Schule reicht nicht aus, sie stellen unsere ganze Werkstatt auf den Kopf.
Keine Technik ist zu schwer, Holzschnitt nach verlorener Form...

"Das schneid ich nicht weg, ich mach mir doch die ganze Platte kaputt!"

Monotypie, Pastellmalerei (der Renner), Radierung, Aquatinta, Vernis mou - alles gelingt.

Besucher in der Werkstatt:

"Das ist aber gut, wer hat das denn gemacht, Sie?"
"Nein (stolz wie sonst was) eine Schülerin von mir, sie ist 12"
"...unglaublich, was für ein Talent!"

Ja, talentiert sind sie in vielerlei Hinsicht:

• Salzstangen zertreten,
• Gummibärchen ins Aquarellwasser werfen
• heimlich verschwinden, um ums Saubermachen der Walzen herumzukommen
• halb leergetrunkene Teetassen mit ca. 2 cm hohem Zuckersatz stehen lassen
• bis zu Unkenntlichkeit zerstörte Radiergummis

und nicht zuletzt: eine von jeglichem Essbaren befreite Werkstatt bleibt zurück.

"Wir machen eine Ausstellung mit Euren Arbeiten, ja?" Reaktion: völlige Irritation bis lautes Gejubel Wollt Ihr bei uns in der Kölner Graphikwerkstatt ausstellen, oder im Kinderkrankenhaus?

"Kinderkrankenhaus!" (einstimmig)
"Da war ich auch schon"
"Die armen Kinder"
"Verkaufen wir auch die Bilder?"
"Für meins will ich 10 Euro"
"So wenig? Ich will für meins 11.000 Euro"
"Bist du bescheuert, dann kauft das doch keiner"
"Na gut , dann 11 EURO"

Es ist Abend
So schnell wie sie kamen, sind sie wieder verschwunden.
Ein leises Rauschen im Ohr bleibt.

Jutta Vollmer